
Dienstag, 30. Juni 2009 / Mardi, 30 juin 2009
Kleine Symposien / Symposiums courts 14.00-15.30
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Heterogenität und Unterricht
Unterrichtsstörung, Heterogenität, Kontexteffekte, Akkulturation, Schulleistungen
Vorsitz und Einleitung:
Herzog, Walter
Universität Bern, Institut für Erziehungswissenschaft, Abt. Pädagogische Psychologie
Diskutant:
Neuenschwander, Markus
PH FHNW, Institut Forschung und Entwicklung, Solothurn
markus.neuenschwander@fhnw.ch
Einleitung
Eine Reihe von Studien zeigt, dass die Klasse als Kontextvariable nicht nur für das
Lernverhalten, sondern auch für die Selbst- und Fremdeinschätzung der Schülerinnen
und Schüler von grosser Bedeutung ist. In jüngster Zeit ist die Zusammensetzung der
Schulklasse nach Kriterien der sozialen und kulturellen Herkunft vermehrt zum Thema
von Forschungsarbeiten geworden. Dabei stehen zumeist die Schülerleistungen im
Vordergrund. Wesentlich seltener werden Fragen der Klassenführung untersucht, die
in kulturell heterogenen Klassen als besonders anspruchsvoll betrachtet wird. Nur we-
nige Erkenntnisse bestehen über das Ausmass an Unterrichtsstörungen in Abhängig-
keit vom Niveau der kulturellen Heterogenität einer Schulklasse. Die vorhandenen
Studien erweisen sich zudem als widersprüchlich.
Die drei Beiträge in diesem Symposium gehen der Frage nach dem Zusammenhang
von kultureller Heterogenität der Schulklasse (definiert nach dem Migrationsstatus der
Schülerinnen und Schüler), den schulischen Leistungen und dem Ausmass an Stör-
verhalten im Unterricht nach. Unter Störverhalten wird vorwiegend die Missachtung der
sozialen Ordnung des Unterrichts verstanden. Besondere Aufmerksamkeit wird dem
Geschlecht der Schülerinnen und Schüler sowie individuellen Merkmalen, die als De-
terminanten von schulischer Leistung und Störverhalten wirken, geschenkt.
Die Daten stammen aus zwei laufenden Projekten, die an der Abteilung Pädagogische
Psychologie der Universität Bern durchgeführt werden. Im Rahmen einer National-
fondsstudie («Klassenmanagement und kulturelle Heterogenität»; Projekt-Nr. 100014-
117910) wurden Schülerinnen und Schüler aus 225 Klassen der 5. Primarstufe, die
nach drei Ausprägungen von kultureller Heterogenität ausgewählt wurden, mittels ei-
nes standardisierten Fragebogens untersucht. Im Rahmen eines Dissertationsprojekts
«Schulleistungen und Heterogenität» wurden Schülerinnen und Schüler aus 43 Klas-
sen der 3. Primarstufe mittels verschiedener Instrumente (u.a. Leistungstests im Fach
Deutsch) untersucht. Auch dabei wurden drei Abstufungen von kultureller Heterogeni-
tät unterschieden.
Die drei Beiträge erlauben, die Bedeutung der Zusammensetzung von Primarschul-
klassen in Bezug auf kulturelle Heterogenität bezüglich der Kriterien Schülerleistung
und Störverhalten ein Stück weit aufzuklären. Erkenntnisse ergeben sich insbesondere
in Bezug auf die relativen Anteile sozialer und individueller Determinanten schulischen
Lern- und Sozialverhaltens. In praktischer Hinsicht lassen sich Hinweise für die Gestal-
tung des Klassenmanagements in kulturell unterschiedlich heterogenen Schulklassen
gewinnen, ein angesichts der wachsenden kulturellen Heterogenität der Schulklassen
in der Schweiz dringendes Anliegen.
Dienstag, 30. Juni 2009 / Mardi, 30 juin 2009
Kleine Symposien / Symposiums courts 14.00-15.30
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Beiträge:
Klassenmerkmale und Störausmass im Unterricht
Schönbächler, Marie-Thérèse
Uni Bern, Institut für Erziehungswissenschaft, Abt. Pädagogische Psychologie
marie-theres.schoenbaechler@edu.unibe.ch
Kulturelle Heterogenität wird im Zusammenhang mit Unterricht üblicherweise mit be-
sonders anspruchsvollen Lehrsituationen in Verbindung gebracht – und dies obwohl
die Forschungslage keineswegs eindeutige Befunde zu dieser Frage liefert (Dollase
2005; Eckhart 2005; Moser 2001; Oester, Fiechter & Kappus 2005). Dabei wird «Hete-
rogenität» meist wenig spezifisch als ein Merkmal der Klasse betrachtet, das den An-
teil von Schülerinnen und Schülern mit Migrations- oder Fremdsprachigkeitshinterg-
rund beschreibt.
In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob und wie stark eine solche kulturel-
le Heterogenität bzw. Homogenität tatsächlich den Unterricht beeinflusst oder ob ande-
re Klassenmerkmale ebenso wirksam oder gar einflussreicher sind. Als Kriteriums-
variable wird das Ausmass an Unterrichtsstörungen gewählt, da eine möglichst grosse
Absenz von Unterrichtsstörungen ein wichtiges Kriterium darstellt, dass im Schulzim-
mer die Zeit aktiv genutzt wird und Lernprozesse überhaupt stattfinden können
(Gruehn 2000, Wang, Haertel & Walberg 1993, Weinert 1996).
Zur Bearbeitung der Fragestellung werden Daten aus dem Forschungsprojekt «Klas-
senmanagement und kulturelle Heterogenität» verwendet. Die über 4300 Schülerdaten
werden mit Angaben der Lehrkräfte ergänzt und mehrebenenanalytisch untersucht.
In einem ersten Modell wird nur die Heterogenität – als kategoriale Variable mit den
drei Ausprägungen tiefe Heterogenität (0-10%), mittlere Heterogenität (11-40%) und
hohe Heterogenität (>40% von Kindern mit Migrationshintergund) – als Prädiktor ein-
gefügt. Die Heterogenität erweist sich zwar als signifikant (p<.05), jedoch von geringer
Aussagekraft bezüglich Varianzaufklärung (lediglich 3% auf der Klassenebene). In wei-
teren Modellen werden nach und nach zusätzliche Klassenmerkmale eingefügt und
deren Aussagekraft für das Ausmass an Unterrichtstörungen geprüft. Es zeigt sich,
dass andere Merkmale der Klasse – insbesondere die wahrgenommene Beziehungs-
qualität – wesentlich besser die systematischen Unterschiede zwischen den Klassen
bezüglich Störverhalten erklären können.
Literatur
Dollase, Rainer (2005). Schulische Einflüsse auf die interkulturelle Entwicklung von
Kindern und Jugendlichen. In Fuhrer, U.; Uslucan, H.-H. (Eds.), Familie, Akkulturati-
on und Erziehung: Migration zwischen Eigen- und Fremdkultur (p. 150-171). Stutt-
gart: Kohlhammer.
Eckhart, M. (2005). Anerkennung und Ablehnung in Schulklassen. Einstellungen und
Beziehungen von Schweizer Kindern und Immigranten. Bern: Haupt.
Gruehn, Sabine (2000). Unterricht und schulisches Lernen: Schüler als Quellen der
Unterrichtsbeschreibung. Münster: Waxmann.
Moser, Urs (2001). Eine gute Schule für alle Kinder? In Eser Davolio, Miryam (Ed.),
Viele Sprachen - eine Schule. Über Schulen mit Kindern aus mehreren Kulturen (p.
101-116). Bern: Paul Haupt.
Oester, K.; Fiechter, U.; Kappus, E.-N. (2005). Schulen in der transnationalen Gesell-
schaft. Segregations- und Integrationsprozesse am Beispiel Bern West (For-
schungsbericht). Bern: Pädagogische Hochschule Bern, Zentrum für Forschung und
Entwicklung.
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